Gaming Testberichte

Atomarer Kitsch auf Britisch: Fallout London oder ein überhypter Mod im freien Fall (Editorial)

In der Welt der digitalen Endzeitkatastrophen hat sich die Fallout-Reihe als ikonischer Begleiter durch das strahlenverseuchte Ödland etabliert. Doch während das strahlende Glanzstück Bethesdas schon diverse amerikanische Schauplätze in Trümmer gelegt hat, wagt sich eine riesige Modifikation nun in das Herz des alten Empires: Fallout London. Ein faszinierendes Unterfangen, das laut manch enttäuschter Stimme aus dem Internet wohl besser in der Themse versenkt worden wäre. Doch immer schön der Reihe nach…

Der Start war schon holpriger als das alte Londoner Kopfsteinpflaster, aber das lag wohl eher an Bethesda, deren “Next Gen”-Update von Fallout 4 als monetäres Begleitinstrument der cineastischen Quervermarktung der Modding-Community einen Stich ins digitale Herz setzte. Doch der geplagte Gamer, der gleichzeitig nicht auf seine alten Spielstände verzichten und beide Versionen spielen möchte, kauft sich einfach bei GOG für einen schmalen Taler ein GOTY-Edition und installiert Fallout London separat neu. Also ich.

Doch in einer Zeit, in der Mods oft die Rettungsanker für alte Spiele sind, hat Fallout London es grandios geschafft, die Community in zwei Lager zu spalten: Diejenigen, die auf den Hype-Zug aufgesprungen sind, und jene, die sich fragen, ob der Zug überhaupt noch auf den Gleisen fährt. Der überhypte Mod verspricht eine Reise ins postapokalyptische Herz Londons, liefert jedoch eine Achterbahnfahrt, die vor allem eines ist – ein ständiger Absturz in die Tiefe. Oder aber den Desktop, was wohl aufs Gleiche rauskommt.

Ständige Abstürze gehören in Fallout London nämlich leider zur Tagesordnung. Ich habe am ersten Tag leider mehr Zeit damit verbracht, das Spiel neu zu starten, als tatsächlich zu spielen. Wobei die ewigen Ladezeiten eine zusätzliche Bestrafung sind. Denn anstatt sich in die immersive Welt eines postapokalyptischen Londons zu vertiefen, kämpft man ständig gegen technische Probleme. Die Bugs und Glitches, die das Spiel plagen, sind zahlreicher als die Ratten in der Londoner U-Bahn.

Die Entwickler haben es leider nicht einmal ansatzweise geschafft, die erwarteten Standards zu erfüllen. Die Kulissen wirken oft lieblos und flach, und die Interaktionen mit der Umgebung erinnern eher an ein unfertiges Schulprojekt als an ein liebevoll gestaltetes Gaming-Erlebnis und die Texturen… Am Ende kann man es wohl so auf den Punkt bringen, dass das ‘Fallout’ im Titel bedeutet, dass das Spiel ständig auseinanderfällt. Die Frustration ist allgegenwärtig, denn Abstürze und Freezes treten so häufig auf, dass man fast vermuten könnte, die Entwickler hätten diese als Feature eingebaut, um das authentische Gefühl der Verzweiflung in einer postapokalyptischen Welt zu vermitteln. Diese ganzen Bugs sind wie die Tauben am Trafalgar Square – überall und unwillkommen.

Für mich wirkt der Hype um Fallout London wie eine seifenblasige Versprechung, die schon beim ersten Anfassen platzt. Ich habe unnütze Lebenszeit verloren, die Nerven sowieso. Die Community wurde mit großen Versprechungen und aufwendigen Trailern gelockt, nur um dann mit einer Beta-Version abgespeist zu werden, die mehr Frust als Freude bereitet. Schrieb ich gerade Beta? Alpha! Fallout London hätte das Potenzial gehabt, ein Meisterwerk zu werden, aber stattdessen haben wir ein unfertiges, absturzanfälliges Desaster bekommen.

Für mich ist Fallout London wie Fish and Chips ohne Chips – ein Haufen vertrockneter Fische ohne Substanz, dafür mit einem üblen Nachgeschmack. Während das Setting auf den ersten Blick verlockend erscheint, beginnt man schon bald zu erkennen, dass das stilisierte London eher einer postapokalyptische Touristenfalle gleicht. Die ikonischen Wahrzeichen Londons tauchen zwar auf, jedoch wirken sie oft eher wie lieblos hingeklatschte Kulissen einer schlechten West End Produktion. Solche Bilder spare ich mir lieber. Ok, eins muss reichen, denn mit dem Trailer hat das eigentlich nichts zu tun:

Den Charme und den schwarzen Humor, für den die Fallout-Reihe berühmt ist, sucht man hier übrigens vergebens. Stattdessen werden wir mit einem plumpen Versuch konfrontiert, britischen Humor und Fallout-Atmosphäre zu verbinden. Das Resultat? Ein Rohrkrepierer von königlichem Ausmaß, wo die Dialoge im Spiel oft klingen, als hätte man eine Gruppe Amerikaner gefragt, wie sie sich britisches Englisch vorstellen. Authentizität geht anders, Spielwitz und Story sowieso. Monty würde sich im Grab sogar noch schneller umdrehen als mein Magen beim nächsten Crash.

So bleibt Fallout London ein warnendes Beispiel dafür, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Ein überhypter Mod, der die Erwartungen nicht nur verfehlt, sondern regelrecht abstürzen lässt. Schade um die vergeudete Zeit und die zerschlagenen Hoffnungen der Spieler, die sich auf eine spannende Reise ins postapokalyptische London gefreut hatten. So bleibt uns nichts anderes übrig, als Fallout London mit einem bitteren Lächeln zu betrachten und darauf zu hoffen, dass das nächste Abenteuer im Ödland wieder ein Hit wird – vielleicht diesmal mit etwas mehr Chips und weniger Fish.

Anmerkung
Ich habe extra Fallout 4  als GOTY noch einmal bei GOG gekauft. Dazu kamen dann endlose Versuche, das Spiel zu stabilisieren und wenigstens mal die erste Metro-Fahrt ohne Crash zu überleben. Egal, ob es das Nachinstallieren der Buffout4-Mod war, die schon anderen Fällen geholfen hat, das Schlimmste abzumildern, oder auch optimierte Grafiksettings bis hin zum legendären “Weapon Debris”. Ja, es wurde weniger, aber leider nicht besser. Permanentes Speichern ist erste Bürgerpflicht, aber so macht das einfach keinen Spaß. Ich gehe mal davon aus, dass Bethesda vorab gewusst hat, was für eine digitale Verwurmung in der Mod steckt und sich deshalb so distanziert rausgehalten hat. Und warum ich das heute alle schreibe? Ich bin sauer, das ist alles. Auch auf mich, weil ich nicht auf erste Rezensionen gewartet, sondern blind losgelegt habe. Diese Ernüchterung würde ich Euch nämlich gern ersparen.

Kommentar

Lade neue Kommentare

Nulight

Veteran

256 Kommentare 171 Likes

Ich weiß schon warum ich mittlerweile diesen Publisher und das Studio meide, ist das Geld nicht wert.

Antwort Gefällt mir

Igor Wallossek

1

10,570 Kommentare 19,835 Likes

Die Mod ist ja nicht vom Publisher, hätte aber so einfach nicht veröffentlich werden sollen. Schade um die viele Arbeit, die da reingesteckt wurde, das Zeil ist einfach unfertig.

Antwort 3 Likes

Case39

Urgestein

2,560 Kommentare 969 Likes

Liest man so überall. Schade.

Antwort Gefällt mir

Danke für die Spende



Du fandest, der Beitrag war interessant und möchtest uns unterstützen? Klasse!

Hier erfährst Du, wie: Hier spenden.

Hier kannst Du per PayPal spenden.

About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

Folge Igor auf:
YouTube   Facebook    Instagram Twitter

Werbung

Werbung