Wir hatten ja die defekte Karte schon in voller Pracht bei Igor gesehen, noch bevor ich Hand angelegt habe. Als ich die Karte dann testweise bei Ankunft an den Testbench angeschlossen habe, konnte ich genau das Verhalten beobachten, welches Igor schon vor mir reproduziert hatte. Es heißt also: Raus mit dem Schraubenzieher, einmal Blankziehen liebe Navi 21 und dann schön auf das “Was passiert dann”-Prinzip achten! Nach dem Demontieren des Kühlkörpers folgt die optische Inspektion erst mit dem Auge, danach mit dem Mikroskop. Hierbei konnte ich bereits feststellen, dass die Karte auch mechanisch nicht ganz unversehrt daherkommt. Einige Schraubenköpfe sind ausgeleiert, ein SMD-Header für die LEDs ist abgerissen und unauffindbar, das PCB selbst hat mechanische Verformungen, ist also ein wenig außer Form und auch sonst macht die Karte einen eher leidenden Eindruck.
Der nächste Schritt besteht n der genaueren optischen Inspektion der üblichen Verdächtigen. Durch die Beschreibung, dass die Karte beim Ausschalten verschiedene Stromkreise triggert, hört sich für mich erstmal nach einem Spulenschluss an oder auch einer defekten Diode. Letztere sollte eigentlich genau so etwas verhindern. Hier inspizieren wir die Jumper-Widerstände, die gerne mal durch thermische Belastung kaputt gehen, weil sie ja 0 Ohm Widerstand aufweisen:
Durch die Messung mit einem Multimeter können wir hier bestätigen, dass die Widerstände ohne Probleme leiten. Als nächstes führen wir eine Sperrprüfung der Leistungsdioden durch und stellen fest, ob sie sich so verhalten wie sie sollen. Ergebnis: Alle Dioden leisten genau das, wofür sie verbaut wurden.
Der nächste Schritt führt uns unter das Mikroskop, um zu erfahren, ob vielleicht PWM- und Controllerchips auf so kleiner Fläche durchgebrannt sind, dass wir es mit dem Auge nicht sehen. Bis auf kleine Rückstände von Wärmeleitpads sehen alle ICs völlig normal aus. Dank des Hersteller-Datenblattes für die genannten Komponenten konnte ich eine richtige Signalspannung und auch den Verlauf mit einem Oszilloskop ausmessen und befand diese als einwandfrei.
Alle wichtigen Komponenten weisen keinen offensichtlichen Fehler auf, so dass mir durch die mechanische Verformung des PCBs die Idee kam, dass wir vielleicht ein Problem mit der Leiterplatte selbst haben, denn das kommt auch oft vor. In diesem Fall bleibt uns nicht viel übrig, außer die Karte entweder selektiv oder automatisch in den Reflow-Ofen zu geben. Spannungen und auch kalte Lötstellen, sowie abgerissene Balls unter den Chips können so wiederhergestellt werden.
Möchten wir die Integrität der Leiterbahnen (Traces) selbst prüfen, müssten wir entweder weit über 10.000 Messungen machen oder die Platine unter ein Röntgengerät mit Vergrößerung halten. Beides kommt aber nicht in Frage, denn für normalerweise knapp 70 Euro Reparaturpauschale ist beides viel zu zeitaufwändig. Um euch zu einen Einblick zu geben, wie empfindlich gegen mechanische Beanspruchung so eine Hochleistungsplatine mit typischerweise acht Layern ist, zeige ich euch hier einen typischen Lagenaufbau mit seinen Funktionen:
Alle Lagen, die Orange, Rot und Blau sind, weisen nur eine Kupferstärke von 35 µm auf, man kann sich also vorstellen, wie schnell die Traces bei einer Breite von 0,127 mm brechen können. Soldermask beschreibt die Lötstoppmaske, die der PCB-Oberfläche auch seine Farbe gibt. High speed signal layer ist wie besprochen eine dedizierte Kupferlage und Prepreg beschreibt eine textile Faserhalbzeugschicht zur Isolation und Verstärkung der mechanischen Eigenschaften eines PCBs. GND-Plane bedeutet, dass hier die gemeinsame Masse auf großer Fläche verteilt wird, was auch den thermischen Ableiteigenschaften zugutekommt. Core ist ein Aluminiumkern, der das PCB gegen mechanische Beschädigung unempfindlich macht und die thermische Ableitung der Komponenten sehr verbessert.
Auf der nächsten Seite heißt es dann (frei nach Tim Mälzer) “Backen ist nicht kochen” und genau deshalb zeige ich ich nach dem Umblättern, wie so etwas RICHTIG gemacht wird, auch wenn jetzt der eine oder andere YouTuber sicher feuchte Augen bekommt. Denn zum Backen braucht man auch eine gewisse Backhilfe aus der Tube. Sonst gibt es mit etwas Glück unglückliche Bratferkelchen. Das Weglassen des nötigen Flux erklärt übrigens auch, warum so viele selbst “geheilte” Karten nach kürzerer Zeit erneut der Krankheit erlegen. Man hat es einfach nicht drauf. Neue Seite bitte!
- 1 - Grafikkarten-Tod, eBay und die Umstände
- 2 - Erste Erkenntnisse und Kopfschütteln
- 3 - Wundverband und Überweisung zum Spezialisten
- 4 - ELITKon wer? Dinge, die nur der Fachman hinbekommt
- 5 - Zerlegen, Prüfen und Messen
- 6 - Flux, Reflow und die wundersame Genesung
- 7 - Inbetriebnahme, Zusammenfassung und Krankenhausanschrift
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