Messaufbau und Grundlagen
Nun schlägt mal wieder die Stunde der Wahrheit, ob das günstige Teil vielleicht doch mehr kann, als es der Preis suggeriert, oder ob es doch nur eine billige Knallbüchse ist. Der Testaufbau für Kopfhörermessungen ist jetzt final und die Basis bleibt natürlich das bekannte Messmikrofon, dass sich ja bereits für die In-Ears bewährt hat. Die Anregungen für die Realisierung habe ich bei Oratory gefunden und es schadet nichts, auch dort einmal vorbeizuschauen. Generell gilt, dass man zur Messung des Übertragungsverhaltens von Kopfhörern sogenannte Kuppler mit klar definierten Volumina und fest eingebauten, sauber kalibrierten Messmikrofonen nutzt.
Für Einsteckhörer (In-Ears) und Kleinhörer (z.B. aus Hörgeräten) lässt sich der Aufbau genauso gut nutzen, wie für einfachere Kopfhörer und Headsets als sogenannte On-Ears (Kopfhörer mit supraauralen Kissen). Für solche Kopfhörer (On-Ear) ist das „künstliche Ohr“ nach IEC 318 brauchbar, an das ich mich mit der Umsetzung nunmehr gehalten habe. Dazu kommt die Creative AE-9 als Soundkarte, an der nicht nur das Messmikrofon rauscharm genug angeschlossen ist, sondern auch die Ansteuerung der Kopfhörer, solange das analog per Klinke möglich ist. USB-Lösungen bei den Headsets nutze ich, wie in diesem Fall, natürlich im Original.
Die dicken Over-Ears, also circumaurale bzw. Ohr-umschließende Kopfhörer, sind nicht einfach zu handhaben, wenn es um die Messung und vor allem um die Reproduzierbarkeit geht. Denn genau dafür gibt es ja noch gar keine wirklich genormten Kuppler. Die Gründe dafür liegen in Schwierigkeiten der Messtechnik und den vielen beeinflussenden Faktoren begründet, die eine sichere Reproduzierbarkeit fast unmöglich machen. Daher werden solche circumaurale Kopfhörer überwiegend mit entsprechend umgebauten Kupplern für supraaurale Kopfhörer gemessen, indem man zusätzlich eine eine flache Platte als Auflage für das circumaurale Kissen nutzt (siehe Bild oben).
Wichtiger Anhaltspunkt: Die Harman Kurve
Die sogenannte Harman-Kurve ist eine (optimale) Klangsignatur, die die meisten Menschen bei ihren Kopfhörern bevorzugen. Sie ist somit eine genaue Darstellung dessen, wie z.B. hochwertige Lautsprecher in einem idealen Raum klingen und sie zeigt den Zielfrequenzgang eines perfekt klingenden Kopfhörers. Damit erklärt sie auch, welche Pegel angehoben und welche gedämpft werden sollten, wenn man diese Kurve zugrunde legt. Damit erklären wir auch in einem Aufwasch noch den Begriff der oft zitierten “Badewannen-Abstimmung”, bei dem die Harman-Kurve jedoch völlig überzogen missbraucht und überhöht wird.
Aus diesem Grund ist die Harman-Kurve (auch “Harman-Ziel” genannt) einer der besten Frequenzgangstandards für den Musikgenuss mit Kopfhörern, denn im Vergleich zum flachen Frequenzgang (neutrale Kurve) sind bei der Harman-Kurve die Bässe und Höhen leicht angehoben. Diese “Kurve” wurde 2012 von einem Team von Wissenschaftlern unter der Leitung des Toningenieurs Sean Olive erstellt und veröffentlicht. Die Forschung umfasste seinerzeit auch umfangreiche Blindtests mit verschiedenen Personen, die unterschiedliche Kopfhörer testen mussten. Auf der Grundlage dessen, was sie dann mochten (oder auch nicht), fanden und definierten die Forscher die allgemein beliebteste Klangsignatur.
Die Abstimmung von Kopfhörern kann aufgrund der menschlichen Anatomie wirklich problematisch sein. Jeder Mensch hat eine etwas andere Ohrmuschel und einen etwas anderen Gehörgang, was sich darauf auswirkt, wie die einzelnen Personen bestimmte Frequenzen wahrnehmen. Im Extremfall gibt es von Person zu Person ein paar dB Unterschied, was dann auch die kleinen Unterschiede in manchen Messungen mit künstlichen Ohren erklärt. Außerdem wird der Schall, wenn er nicht absorbiert wird, von anderen Oberflächen zusätzlich reflektiert. Theoretisch wäre also auch ein Torso im Testaufbau mit einzubeziehen, aber das wäre viel zu aufwändig.
Frequenzgang
Kommen wir nun zur Messung, bei der ich das Headset natürlich per fest verlötetem USB-Dongle am Mess-PC und nur das Messmikrofon direkt an der Creative Sound Blaster AE-9 anschließe. Die Ausgangs-Impedanz und -Leistung der Endstufe im Dongle kann man natürlich weder messen noch benennen, denn dazu müsste man das zugeklebte Teil komplett zerstören. Kommen wir nur zur Messkurve und für alle noch einmal zur Erinnerung: Die dunkle Kurve ist das optimale Harman-Ziel.
Man sieht in der Kurve sehr schön die nur sehr leicht ausgeprägte Badewanne, die jedoch beim Bass ab ca. 40 Hz etwas schwächelt. Es ist zumindest gut, dass Edifier gar nicht erst versucht hat, hier elektronisch per DSP nachzufetten, denn damit wäre die kleine Sound-Chip wohl überfordert gewesen. Denn auch so schon ist die Pegelfestigkeit zwar noch einigermaßen ok, aber Reserven gibt es eben keine mehr. Was man jedoch mögen kann, sind die ausgeprägten unteren Mitten, was einen recht warmen Klang produziert. Etwas 250-Hz-“Papp-Sound” ist zwar auch wieder mit von der Partie, aber das stört hier nicht einmal, weil es den eher neutralen Oberbass nahtlos an die dominanteren Mitten heranführt. Oberhalb von 1 KHz nähert man sich der Harman-Kurve wieder einigermaßen an, wobei einige der Dellen vom Treiber kommen. Dazu gleich mehr in den Zerfallsdiagrammen.
Interessant ist auch, dass die Treiber noch bis 10 KHz verlustfrei spielen und erst dann einbrechen. Fürs Gaming ist das völlig ausreichend, nur für die Musikwiedergabe ist es wenig dienlich, wenn man verlustfreie Master-Records anhört. Normale MP3s klingen wie immer, also passt auch hier in Anbetracht des Preises noch alles bestens.
Kumulative Spektren (CSD, SFT, Burst)
Das kumulative Spektrum bezeichnet verschiedene Arten von Diagrammen, die Zeit-Frequenz-Eigenschaften des Signals zeigen. Sie werden durch die aufeinanderfolgende Anwendung der Fourier-Transformation und geeigneter Fenster auf überlappende Signalblöcke erzeugt. Diese Analysen basieren auf dem bereits oben dargestellten Frequenzgangdiagramm, enthalten aber zusätzlich noch das Element Zeit und zeigen nun als 3D-Grafik („Wasserfall“) sehr anschaulich, wie sich der Frequenzgang über die Zeit hin entwickelt, nachdem das Eingangssignal gestoppt wurde. Umgangssprachlich wird so etwas auch „ausklingen“ oder „ausschwingen“ genannt. Normalerweise sollte der Treiber nach dem Wegfall des Eingangssignals ebenfalls möglichst schnell anhalten. Einige Frequenzen (oder sogar ganze Frequenzbereiche) werden jedoch immer langsam(er) abklingen und dann in diesem Diagramm als länger anhaltende Frequenzen auf der Zeitachse auch weiterhin erscheinen. Daran kann man gut erkennen, wo der Treiber eklatante Schwächen aufweist, vielleicht sogar besonders „scheppert“ oder wo im ungünstigsten Fall Resonanzen auftreten und das Gesamtbild stören könnten.
Cumulative Spectral Decay (CSD)
Der kumulative spektrale Zerfall (CSD) verwendet die FFT und ein modifiziertes Rechteckfenster, um den spektralen Abfall der Impulsantwort zu analysieren. Es wird hauptsächlich zur Analyse der Treiber-Antwort verwendet. Der CSD verwendet normalerweise nur eine kleine FFT-Blockverschiebung (2-10 Samples), um Resonanzen im gesamten Frequenzbereich besser sichtbar zu machen und ist somit ein nützliches Werkzeug zur Erkennung von Resonanzen des Wandlers. Das Bild zeigt sehr schön das Einschwingverhalten und einige wenige Bassresonanzen. Die Membran schwingt nämlich auch unterhalb von 200 Hz etwas nach. Miese, hochkomprimierte MP3-Dateien oder lausige YouTube-Streams werden durch die Spitzen etwas im Hochton kristallisiert und ab ca. 10 KHz kommt kaum noch was.
Short-Time Fourier Transform (STF)
Die Kurzzeit-Fourier-Transformation (STF) verwendet das FFT- und Hanning-Fenster, um das zeitlich variierende Spektrum der aufgezeichneten Signale zu analysieren. Hier nutzt man im Allgemeinen eine größere Blockverschiebung (1/4 bis 1/2 der FFT-Länge), um einen größeren Teil des zeitvariablen Signalspektrums zu analysieren, wobei man besonders den Einsatzgebieten wie Sprache und Musik näherkommt. Im STF-Spektrum sehen wir nun auch sehr schön die Arbeit der Treiber, die sich in einigen Frequenzbereichen diverse Schwächen leisten. Dieses „Nachziehen“ bei den niedrigeren Frequenzen unterhalb von 250 Hz wiederholt sich dann noch und bei ca. 2,5 bis 3 kHz und dann kommt ja auch noch noch die klitzekleine 10-KHz-Peitsche im Superhochton.
Burst Decay
Beim CSD wird der Plot im Zeitbereich (ms) erzeugt, während der hier verwendete Burst Decay Plot in Perioden (Cycles) dargestellt wird. Und während beide Methoden ihre Vor- und Nachteile (oder Einschränkungen) haben, kann man durchaus sagen, dass die Darstellung in Perioden durchaus sinnvoller sein kann, um das Abklingen eines Treibers mit einer großen Bandbreite zu bestimmen. Und genau da schneidet das GS2 II von Edifier sogar deutlich besser ab als Corsairs deutlich teureres HS 65! Wir sehen eine recht gleichmäßige Auslenkung und ein paar kleine Peitschen um die 3 bis 4 kHz und im späteren Verlauf dann wieder so ein Peak zwischen ca. 9 und 11 kHz. Aber auch der etwas vorpreschende Hochton ist nichts, was subjektiv als echtes Negativum wahrgenommen wird. Der Bass ist, wie auch beim subjektiven Hören, recht differenziert und alles andere als matschig.
Zwischenfazit
Für diesen Preispunkt ist das schon arg solides Kino. Für den akustischen Block-Buster im echten Hi-Fi-reicht das natürlich nicht, aber es gibt ja auch tolle B-Movies, die durchaus überzeugen können. Und bitte immer im Hinterkopf behalten: Ab 26 Euro (bei Aktionen) und unter 40 Euro normalem Straßenpreis bekommt man eine Akustik, die manches 50 bis 75-Euro-Headset wohl gern hätte.
Mikrofon-Check und ein Life-Hack
Anbei noch der obligatorische kurze Mikrofontest, der eigentlich nur Positives offenbart. Der Schwanenhals macht was er soll und passt selbst bei meinem doch recht großen Kopf auch noch von der Positionierung her. Die omni-direktionale (Kugel) Charakteristik fängt leider auch die Raum Geräusche mit ein, aber dafür habe ich einen netten Life-Hack.
Nimmt man den Pop-Schutz ab, dann sieht man vorn und hinten eine kleine Öffnung für den Schall. Die Kapsel sitzt hier leicht unterhalb mittig im Gehäuse und fängt so ziemlich alles ein, was durch den Raum schwirrt. Doch das lässt sich ändern! Wir lassen das Loch auf der glänzenden Seite offen und verschließen das auf der matten Seite mit etwas Klebeband. Danach schiebt man den Pop-Schutz vorsichtig wieder drauf und merkt bzw. markiert sich, wo vorn ist.
Dadurch erreich man fast Nierencharakteristik und es wird noch nicht einmal dumpfer. Im Übrigen ist das Mikro recht empfindlich. Doch mehr dazu jetzt im Sound-Check.
Edifier G2 II
Das Mikrofon bietet nämlich eine sehr ordentliche Sprachqualität und übertrumpft dahingehend auch ohne den Mic-Boost die Lautstärke vieler teurerer Headsets. Der Mic-Boost ist hier komplett unnötig und erhöht nur massiv das Grundrauschen des Mikrofons, das man sonst gar nicht wahrnehmen kann. Chapeau! Im Vergleich dazu nun das t.bone, das zwar einen größeren Dynamikumfang bietet, jedoch auch die Raumatmosphäre mehr einfängt und das sogar etwas mehr rauscht:
The t.bone SC450USB
Das Edifier G2 II macht also eine recht gute Figur, was mir die Gegenüber in Teamspeak und Zoom auch gern attestiert haben.
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