Von schwarzen, grauen und selektiven Strahlern
Auch hier will ich die Theorie so kurz wie möglich fassen, kann sie aber dem Leser nicht ganz ersparen. 100 Jahre nach dem Lunch-Heureka durch Herschel definierten die Herren Planck, Stefan, Boltzmann, Wien und Kirchhoff das elektromagnetische Spektrum genauer und stellten dabei qualitative und quantitative Zusammenhänge zur Beschreibung der Infrarotenergie her. Diesen Formel-Part will ich im Detail sicherheitshalber aussparen, muss aber zunächst doch kurz auf den sogenannten schwarzen Strahler eingehen, der gewissermaßen den Idealfall darstellt und für das Verständnis der berührungslosen Temperaturmesstechnik und deren Kalibrierung faktisch unerlässlich ist.
Schnittbild eines schwarzen Strahlers:
1 – keramisches Rohr, 2 – Heizung, 3 – Rohr aus Al2O3, 4 – Blende
Dieser schwarze Strahler ist ein idealer Körper, der alle auf ihn fallende Strahlung absorbiert und an dem weder Reflexion noch Transmission auftreten. Er strahlt bei jeder Wellenlänge die für alle möglichen Strahler maximal mögliche Energie ab, wobei die Strahldichte winkelunabhängig ist. Doch nichts ist im Leben wirklich ideal und so beschäftigen wir uns als nächstes mit den grauen sowie den selektiven Strahlern und kommen damit unserem Ziel ein ganzes Stück näher.
Das strahlende Leben samt etwas Kaffeesahne
Nicht jeder Körper entspricht dem strahlend schönen Ideal des schwarzen Strahlers mit einem sogenannten Emissionsgrad (Erklärung kommt gleich!) von 1.0 – leider. Ändert sich nur diese Emissionsgrad, spricht man bei der Quelle auch von einem grauen Strahler. Kommen als verändernde Faktoren noch Temperatur und Wellenlängenabhängigkeit dazu, hat man einen selektiven Strahler. Und genau da beginnt jetzt die Crux, wenn man die schöne neue Infrarotmesstechnik einfach nur mal so auspackt und gedankenlos loslegt.
Viele Körper emittieren nämlich wesentlich weniger Strahlung bei der gleichen Temperatur! Der Emissionsgrad ε gibt das Verhältnis aus dem realen Abstrahlwert und dem des schwarzen Strahlers an. Dieser Wert liegt zwischen null und eins und muss für das betreffende Material bekannt sein.
Die reflektierte Strahlung aus der Umgebung und unter Umständen durch den Körper hindurch gelassene Infrarotstrahlung wollen wir bei unseren eigentlichen Messungen später entweder ignorieren (da sie bei diesen Testaufbauten in den Bereich der Messtoleranzen fallen dürfte) oder aber sogar gezielt nutzen. Zu viel Theorie? Ich habe einfach einmal die morgendliche Tasse Kaffee genutzt, um diesen drögen Lernstoff ein wenig zu versinnbildlichen:
Der frisch gebrühte heiße Kaffee aus meinem Automaten kommt für den Testaufbau mit ca. 80 °C in ein mit heißem Wasser bereits vorgewärmtes Glas samt heißem Edelstahllöffel und etwas Kaffeesahne, um die jeweiligen Temperaturunterschiede möglichst gering zu halten und ein zu schnelles Abkühlen zu verhindern. Ich warte trotzdem noch einige Minuten, bis Kaffee, Glas und Löffel in etwa gleich warm sind. Dann nehme ich den Löffel heraus, wische längsseits eine Hälfte mit dem Küchentuch ab und es ergibt sich das obenstehende Infrarot-Bild.
Unterschiedliche Oberflächen sind der Tod jeder Standup-Messung
Jede Oberfläche (verschiedene Materialien und Strukturen) besitzt einen bestimmten Emissionsgrad, den man erst einmal kennen muss, um überhaupt etwas exakt messen zu können. Bessere Handhelds können manuell kalibriert werden oder man nutzt gleich eine passende Software des Herstellers. Dummerweise ist hierbei per Default fast immer ein Wert von 1.0 voreingestellt, der in der Realität nie oder nur ganz selten anzutreffen ist. Somit kann man zumindest alle Messungen, bei denen der Emissionsgrad auf 1.0 eingestellt wurde, getrost unter teuer bezahltem Entertainment verbuchen, das niemandem nützt. Denn:
Ohne vorherige Ein- bzw. Angabe des betreffenden Emissionsgrades eines Messpunktes ist jede durchgeführte Messung komplett wertlos!
Ein schönes Beispiel dafür ist die nachfolgende Aufnahme. Die unterschiedlichen Farben stellen ja eigentlich optisch den Temperaturverlauf nach, aber was ist mit der Heatpipe und dem VRM-Heatsink passiert? Obwohl sie extrem heiß sind, erscheinen sie auf der Abbildung doch eher dunkel und somit kalt! Erst durch das Auftragen unseres Speziallacks aus dem “Giftschrank” (orangene Messpunkte) ergeben sich brauchbare Messergebnisse”. Natürlich könnte man auch den Emissionsgrad des Kupferkompositmaterials und des Aluminiums für jeden der Messpunkte hinterlegen, würde dann aber auf die Problematik stoßen, dass sich gerade diese Emissionsgrade mit steigenden Temperaturen stark ändern.
Deshalb nutzen wir einen sehr temperaturbeständigen, etwas matten Klarlack, dessen Emissionsgrad uns bekannt ist und im gesamten Temperaturbereich nahezu konstant bleibt. Solche speziellen und leider auch sehr teuren Lacke nutzt die Industrie, um elektrische Bauteile und sogar ganze Platinen vor Umwelteinflüssen wie beispielsweise hoher Luftfeuchtigkeit zu schützen. Man spricht deshalb auch umgangssprachlich von einer Tropikalisierung. Im normalen Ladengeschäft findet man solche Lacke leider nicht, zumal man sie für unseren Zweck vorher in aufwändigen Messreihen erst einmal testen (lassen) muss.
Für Heatpipes (GPU-, CPU-Kühler) bis 100 °C können wir jedoch im Notfall sogar auf ein billiges schwarzes Isolierband zurückgreifen, dessen Emissionsgrad aber erst ermittelt werden muss. Mattschwarzes Messtape ist dünner und besitzt einen wesentlich höheren Emissionsgrad über 0.97, aber so kostenintensiv muss es hier für den kleinen Test ja gar nicht sein. Werfen wir einfach einen Blick auf die Abbildung unseres nächsten Testaufbaus, wo wir eine heiße Heatpipe und das preiswerte Klebeband sehen.
Während die Messung der ca. 80 °C heißen Heatpipe mit dem Factory Default von 1.0 grandios in die Hose geht, stimmen sowohl die Messung mit dem zuvor ausgemessenen Tape (0.656), als auch die mit dem korrekt für das Material eingegebenen Emissionsgrad (0.12) bei 80 °C. Dummerweise ändert sich letzterer aber über das auftretende Temperaturspektrum um den Faktor drei und ist somit bei möglichen Temperaturschwankungen komplett nutzlos. Metallische Oberflächen, deren Temperatur sich ändert, kann man deshalb nicht sinnvoll messen!
Fertig ist der Lack: Wir messen Pins richtig
Nicht nur für hochauflösende Kameras ist es wichtig, dass im Messbereich keine störenden Temperaturunterschiede durch verschiedene Emissionsgrade erfasst werden, da sie den ausgegebenen Mittelwert negativ beeinflussen. Wie extrem so etwas sein kann, zeigen die nächsten beiden Abbildungen. Zunächst messen wir einen (an sich sehr heißen) VRM-Pin, der die Wärme direkt an die Kupferbahnen und somit auch die nähere Umgebung des PCBs abgibt. Trotzdem ist dieser Bereich aufgrund des viel geringeren Emissionsgrades der Lötstelle ohne Korrektur für unsere Messung mit den (falsch) ausgelesenen ca. 50 °C erst einmal eine Art Cold Spot.
Jetzt lackieren wir einfach einen Teil der Pins und stellen fest, dass plötzlich die gesamte Fläche den bekannten und für uns verwertbaren Emissionsgrad besitzt und die Kamera die lackierten Pins nicht mehr als solche optisch erfassen kann. Satte 23 °C Unterschied zwischen beiden Messungen am identischen Messpunkt sind dann schon eine Größenordnung, die über das Gelingen oder Misslingen einer solchen Messung entscheiden kann!
Somit sind ohne die profansten Grundkenntnisse der Messtechnik sowie der notwendigen Grundvoraussetzungen beim Messaufbau und -ablauf fast immer viel zu niedrige Messergebnisse die bedauerliche Regel.
- 1 - Grundlagen und etwas vereinfachte Theorie
- 2 - Messen statt schätzen: die hochauflösende Wärmebild-Kamera
- 3 - Eine gute Auflösung ist die halbe Miete
- 4 - Mirroring, Winkel und Raumtemperatur
- 5 - Unterschätzt oder missachtet: Emissionsgrade in der Praxis
- 6 - Durchblick durch Transmission
- 7 - Testsystem und Zusammenfassung
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